November, November

Der November ist auch nicht mehr das, was er mal war. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe im November Geburtstag. In meiner Jugend – lange her – war der November meistens vor allem eines: grau. Vielleicht noch nass. Gerne auch kalt. Und dunkel. Geburtstag zu feiern fühlte sich immer an wie Arbeit. Die mit dieser Jahreszeit einsetzende gefühlt größere Schwerkraft inklusive erhöhtem Schlafbedürfnis ließ jegliche Aktivität außer Haus zu einer unüberwindbaren Hürde anwachsen, und da alle anderen sich in diesem Monat genau wie ich ihrer beginnenden Winterdepression hingaben, war eine ausgelassene Party zu meinem Geburtstag schon immer ziemlich undenkbar. Man konnte sich vielleicht gerade noch zu einem Brunch aufraffen.
Und dann in 2020 das: der so genannte Lockdown Light. Alle Feiern verboten.

Also, ich fand’s gar nicht so übel. Ich musste niemandem erklären, warum mir gar nicht nach Feiern zumute ist. Alle fanden es völlig normal, stundenlang am Telefon zu hängen. Das geht prima mit heißem Tee und einem Wärmekissen an den Füßen auf dem Sofa. Ich hab wunderbare Bücher geschenkt bekommen, in denen ich mich an den frühen Abenden und am Wochenende vergraben konnte. Ich hab interessante Podcasts entdeckt, die sich stundenlang mit allerlei philosophischen Fragen beschäftigen.

Obendrein macht der November in diesem Jahr auch noch schönes Wetter für uns. Strahlender Sonnenschein, zunächst sogar mit milden Herbsttemperaturen, dann wird es knackig kalt. Und alle verabreden sich zum Spazierengehen. Natürlich immer nur brav zu zweit, aber das macht ja nichts. Ich hab schon im Frühjahr festgestellt, dass diese „Zu-zweit-Verabredungen“ mindestens genauso anregend sind wie große Partys. Manchmal entwickeln sich gerade in diesen Zweier-Konstellationen die interessanteren Gespräche. Small Talk scheint mir insgesamt ziemlich auf dem Rückzug zu sein, und das vermisse ich überhaupt nicht.

Was mir trotzdem fehlt: unvorhergesehene Begegnungen. Ungeplante Erlebnisse. Live-Events wie Theater und Musik. Singen im Chor. Schwimmen gehen am Morgen im Hallenbad.

Okay. Genug gejammert. Ich genieße jetzt die positiven Seiten und merke mir die fürs nächste Jahr. Denn auch wenn dann alles wieder möglich sein sollte – warum sollte man nicht jedes Jahr im November alle Aktivitäten runterfahren, wenn einem doch wirklich danach ist? Ich werde mir dafür ein neues Wort einfallen lassen, das an meine Tür kleben und allen damit klarmachen, dass bei mir im November Rückzug angesagt ist. Corovember? Für kreative Wortvorschläge bin ich offen.

Buchtipps:

Sachbuch:
Yuval Noah Harari: Sapiens
Stefan Klein: Wir sind alle Sternenstaub: Gespräche mit Wissenschaftlern über die Rätsel unserer Existenz

Roman:
John Ironmonger: Der Wal und das Ende der Welt
Margaret Atwood: Oryx und Crake

Podcast:

https://www.zeit.de/serie/alles-gesagt