Sind wir nicht alle ein bisschen DNA?

Ein Gen-Test und die Frage nach der Identität.

Mittels eines einfachen DNA-Tests kann man heutzutage für deutlich unter 100€ die eigene genetische Herkunft entschlüsseln lassen. So zumindest das Versprechen der Anbieter. Und obwohl mir klar ist, dass die Aussagen solcher Tests eher mit Vorsicht zu genießen sind und sich daraus mitnichten die Zugehörigkeit zu oder die Abstammung von klar definierten ethnischen Gruppen ablesen lässt, so bin ich doch an neuen Dingen immer sehr interessiert. Unter Wissenschaftlern sind die Tests zu Recht umstritten – zu groß die Abweichungen und Ungenauigkeiten, zu wenig aussagekräftig die Ergebnisse. Was sollte ein solcher Test also bringen? Ein Gefühl der Zugehörigkeit? Eine Aussage über meine Identität?

Meine Eltern stammen aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen und ich bin in mehreren Ländern aufgewachsen. Insofern ist das Thema Identität schon immer ein großes in meinem Leben. Als klassisches Third Culture Kid (mehr zu diesem Thema hier) und Kind einer binationalen Ehe wirft mich die einfache Frage „Wo kommst du her?“ bis heute aus der Bahn. Je nach Laune und Zeitrahmen habe ich inzwischen verschiedene Antworten parat – eine Langversion, eine Kurzversion, eine Ich-erzähl-dir-bei-Gelegenheit-mein-Leben-Version oder auch einfach „aus Leipzig“. Keine der Antworten ist gelogen, und doch ist auch keine wahr.

Als meine Eltern mir also berichteten, dass sie selbst diesen DNA-Test gemacht hatten, war ich zugegebenermaßen gespannt. Die Ergebnisse waren erstaunlich: Tatsächlich gab es keinerlei Überschneidungen des Genpools der beiden. Fun Fact am Rande: Meinem ägyptischen Vater wurden ein paar versprengte jüdische Gene zugewiesen. Das ist einerseits befremdlich, weil es meines Wissens sowas wie „jüdische Gene“ gar nicht gibt. Und tatsächlich ergab eine kurze Recherche im Internet, dass die Studien des Wissenschaftlers, der askenasische Juden als genetisch definierte Gruppe nachgewiesen haben will, von anderen Wissenschaftlern als unseriös angezweifelt werden. Trotzdem wäre es doch heilsam, wenn sich alle im Nahen Osten beheimateten Personen mal auf genetische Ähnlichkeit testen ließen. Dann würden sie nämlich schnell feststellen, dass sie alle miteinander verwandt sind. Menschen sind schon immer gewandert und sie haben sich auch schon immer gepaart. Da bleiben Mischungen nicht aus. Aber ich schweife ab.

Bei meiner Mutter hingegen fanden sich eine Menge Genbausteine aus dem Baltikum, was sich durch die überlieferte Familiengeschichte immerhin gut erklären ließ. Nun war ich endgültig neugierig. Was würde bei mir rauskommen?
Das Ganze funktioniert mit einer einfachen Speichelprobe. Man ordert das Testpaket übers Internet, bezahlt die Gebühr und schickt das Ganze dann per Post in die USA. Ich will gar nicht wissen, was für Daten die jetzt sonst so aus meiner Speichelprobe ausfiltern. Wahrscheinlich kann ich nie wieder in die USA reisen, ohne dort sämtliche Alarme auszulösen. Aber zurück zum Thema.

Ich hatte mir ja von der Ethnizitätseinschätzung Aufschluss über meine Identität und Zugehörigkeit erhofft. Das Ergebnis war in dieser Hinsicht, nun ja, eher nicht besonders hilfreich. Natürlich finden sich auch bei mir die üblichen Verdächtigen, die meine Eltern mir weitergegeben haben. Nordafrika, der Orient, der Balkan und das Baltikum – alle da. Was hingegen komplett fehlt, ist ausgerechnet Westeuropa. Hm.

Was soll ich nun mit dieser Information anfangen? Bis vor Kurzem hatte ich noch zwei Pässe (dazu mehr in einem meiner nächsten Blogbeiträge), inzwischen habe ich nur noch den deutschen. So ein Pass soll ja für die Integration auch irgendwie wichtig sein, aber mir sind bislang keine wissenschaftlichen Studien zu dem Thema bekannt. Was eigentlich merkwürdig ist, wenn man bedenkt, wie intensiv die doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert wurde und wird. Wenn ich also in meinen Pass schaue, dann bin ich ganz eindeutig von hier. Aber rein genetisch bin ich in Deutschland offenbar völlig fehl am Platz.

Am Ende habe ich nun einen Haufen Informationen und weiß damit – gar nichts. „Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“, wusste schon Goethes Faust. (Deutsch-Leistungskurs im Abitur! Und trotz fehlender genetischer Zugehörigkeit bestanden.)

Allerdings könnte man den Spieß auch umdrehen. Wann immer mir die Identifikation mit „den Deutschen“ schwerfällt, habe ich jetzt eine prima Ausrede. Genetischer Abweichler. Das Leben kann so einfach sein.